Zum Inhalt springen

Studieren in Zeiten von COVID-19

    Heute möchten wir jenen Menschen unsere Aufmerksamkeit schenken, die in der Debatte rund um COVID-19 aus unserer Sicht zu wenig Beachtung erfahren und dadurch auch zu wenig Unterstützung erhalten. Es geht um junge Erwachsene, die an unseren Universitäten studieren. Sie sind, wie die Wiener Soziologin Ruth Simsa es so treffend beschreibt, eine übersehene Risikogruppe. Nicht aus epidemiologischer bzw. virologischer Perspektive. Wohl aber im Hinblick auf ihre psychosoziale Gesundheit und den steigenden Bedarf nach Psychotherapie und psychologischer Behandlung.

    Worunter Studierende leiden

    Die Herausforderungen, vor denen junge Studierende derzeit stehen, sind vielfältig. Allem voran gehören sie jener Altersgruppe an, die in unserer Bevölkerung am stärksten von den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie belastet ist. Eine Studie der Donau-Uni Krems zeigt, dass die Lebensqualität der 18- bis 24-Jährigen am stärksten beeinträchtigt ist. Menschen über 65 Jahre kommen hingegen laut Forschung am besten durch die Krise. Während etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung derzeit an einer Depression bzw. depressiven Symptomen leidet, ist es in der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen sogar die Hälfte.

    Teufelskreis: Existenzängste und Depression

    Diese Zahlen sind insbesondere alarmierend, weil Studierende sich derzeit oft in einer finanziellen Notlage befinden. 70% der Studierenden sind berufstätig, um sich das Studium zu finanzieren. Viele gängige Jobs für Studentinnen und Studenten – im Handel und in der Gastronomie – waren jedoch über einen längeren Zeitraum hinweg nicht möglich bzw. sind es zu einem großen Teil nach wie vor nicht. Geringfügig Beschäftigte stehen dabei ferner vor dem Problem, dass sie auch keine nennenswerte finanzielle Entschädigung für diesen Verdienstentgang erhalten haben.

    Viele Studierende sind daher mit Existenzängsten konfrontiert, die sich ebenfalls psychisch niederschlagen. Sie haben jedoch nicht die finanziellen Mittel, um die benötigte professionelle Beratung, Psychotherapie oder psychologische Behandlung in Anspruch zu nehmen. Die Studierenden-Beratungsstellen, die seit Jahren mit Personalabbau zu kämpfen haben, sehen sich dem Zustrom der Studierenden nicht mehr gewachsen. Zu groß ist inzwischen der Bedarf nach Psychotherapie und psychologischer Behandlung. (Wann eine Psychotherapie bzw. psychologische Behandlung empfohlen wird, erfahren Sie hier.)

    Eine Frage der Perspektive?

    Die Existenzängste der Studierenden steigen auch im Hinblick auf ihre Jobaussichten in Zeiten der Rekordarbeitslosigkeit. Diese als düster wahrgenommene Perspektive kostet viele Studierende die Motivation ihr Studium erfolgreich voranzutreiben. Die andere Seite der Medaille ist, dass Fernlehre und Digitalisierung zu einer leichteren Zugänglichkeit von Bildungsangeboten führen. Viele Studierende absolvieren daher eine größere Anzahl an Lehrveranstaltungen und Prüfungen, als in einem Präsenzsemester möglich wäre. Dabei ist der Aufwand dieser Lehrveranstaltungen jedoch nicht generell geringer. Im Gegenteil führt Distance Learning oftmals zu einem höheren Arbeitsaufwand und verlangt eine intensivere Auseinandersetzung mit den jeweiligen Inhalten. In diesem Kontext fällt es jungen Erwachsenen oftmals schwer, ihre persönlichen Grenzen zu erkennen und zu berücksichtigen; die Selbstfürsorge steht dabei häufig hintan und es kommt nicht selten zur Überforderung. Das Resultat sind Erschöpfungszustände und Symptome, die einem Burnout nahekommen. (Mehr über Erschöpfungszustände und Burnout erfahren Sie hier.)

    Studierende – Die übersehene Risikogruppe

    Im Spannungsfeld zwischen (Selbst-)Überforderung auf der einen Seite und fehlender Motivation bis hin zu Erschöpfung und Depression auf der anderen Seite lastet Studierenden leider auch ein schlechter Ruf an. Sie sind häufig als faul oder genussliebend verschrien und werden in ihren akademischen Leistungen nicht ausreichend ernst genommen. Im Zuge der Debatte rund um COVID-19 werden sie außerdem zum Teil als rücksichtslose Feiernde und potenzielle Superspreader diffamiert.

    Dabei befinden sich gerade Erstsemestrige auch abseits der Pandemie in einer von Veränderung und Verletzlichkeit geprägten Phase ihres Lebens! Viele von ihnen verlassen ihr Elternhaus, ziehen in eine neue Stadt und haben sich dort noch kein soziales Netzwerk aufgebaut. In dieser Zeit des Umbruchs fehlen ihnen die Kontakte zu anderen Studierenden und zu Lehrenden und die Möglichkeiten des Austausches. Auch fehlen die sozialen Begegnungsräume, um sich mit guter Unterstützung und dem nötigen Rückhalt in einem neuen Lebensabschnitt einzufinden. Hinzu kommt häufig die Sorge um die eigenen Angehörigen, die möglicherweise erkrankt sind oder einer Risikogruppe angehören.

    …und nun?

    Was also können wir für Studierende tun – als Individuen, als Gesellschaft, aber auch aus sozialpolitischer Perspektive?

    Studierende sehen und unterstützen

    Einer der wichtigsten Beiträge zur Unterstützung dieser allzu oft übersehenen Gruppe ist es, ihnen unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die Pandemie wirkt wie ein Vergrößerungsglas, das bestehende Missstände und Ungleichgewichte deutlicher sichtbar macht. Sie zeigt, dass es sich bei 18- bis 24-Jährigen offenbar um eine vulnerable, also verletzliche Gruppe handelt. Diese gilt es einerseits zu sehen und als solche wahrzunehmen sowie in weiterer Folge auch zu unterstützen!

    Der Bedarf nach leistbaren Beratungsangeboten sowie Psychotherapie und psychologischer Behandlung ist ebenso offensichtlich wie auch die Notwendigkeit der Solidarität. Neben professioneller Hilfe können auch Kleinigkeiten im Alltag gegen Einsamkeit helfen! Ein netter Gruß im Briefkasten, eine übriggebliebene Portion vom selbst gekochten Mittagessen, gemeinsames Singen auf den Balkonen und Terrassen,… Wenn wir einen Augenblick darüber nachdenken, haben wir vermutlich alle den einen oder anderen jungen Menschen in unserem Umfeld, dem wir mit einer solchen freundlichen Geste ganz einfach ein Lächeln ins Gesicht zaubern können!

    dreipunkt goes uni

    In Kooperation mit der Österreichischen Hochschüler*innenschaft haben wir im Rahmen des Projekts „Mentale Gesundheit“ ein spezielles Angebot für Studierende der Universität Graz zusammengestellt. Auch wir unterstützen in dieser herausfordernden Zeit mit Beratung, Psychotherapie und psychologischer Behandlung. (Mehr Infos dazu auf der Homepage der ÖH Uni Graz.)

    Auch Sie brauchen Unterstützung in der Krise? Lassen Sie sich von uns beraten – persönlich oder online!

    Lesetipps & Quellen

    Studie zur Zunahme psychischer Erkrankungen während der Pandemie
    https://www.donau-uni.ac.at/de/aktuelles/news/2020/psyche-seit-covid-19-unter-dauerbelastung0.html

    Studie zur Zunahme psychischer Erkrankungen während der Pandemie bei jungen Erwachsenen
    https://www.donau-uni.ac.at/de/aktuelles/news/2021/psychische-gesundheit-verschlechtert-sich-weiter0.html

    Artikel über die psychische Gesundheit von Studierenden (Simsa) https://www.derstandard.at/story/2000124571948/studierende-die-uebersehene-risikogruppe

    Artikel über die psychische Gesundheit von Studierenden (Schöpf)
    https://www.derstandard.at/story/2000124322715/christian-schoepf-vor-allem-erstsemestrige-sind-isoliert